2017

3 Jahre Shoah-Denk.Mal auf dem Kirchenplatz Wieselburg

„Versöhnen heißt: Nicht vergessen. 3 Jahre Shoah-Denk.Mal auf dem Kirchenplatz Wieselburg“. Der sehr gut besuchte Gesprächsabend informierte über den geplanten 4. Band zur Trilogie „Tragbares Vaterland“ und begann mit dem Einblick der Psychotherapeutin Mag.a Nina Diesenberger in ihre Familiengeschichte mit einem jüdischen und einem SS-Großvater.

Hannes Kammerstätter berichtete über zwei besondere jüdische Familiengeschichten. Der aus Erlauf stammende Ernst Brod, der über die Türkei in die USA flüchtete, arbeitete seine traumatische Geschichte ab in 2000 Seiten, in denen er persönliche Erlebnisse und politische Kommentare zusammenfasste. Aus der Gollinger Familie Eksteinstammte Rudolf Ekstein, einer der weltberühmten psychoanalytischen Sozialpädagogen. Als Philosoph, als Psychotherapeut und als Lehrerbildern hatte er großen Einfluss auf die Theorie und Praxis dieser Fachbereiche. Sein Großvater hatte als Buchhalter, heute würde man ihn als Manager bezeichnen, eine führende Stellung in dem Seilwarenunternehmen Lieser & Duschnitz, ab 1918 HITIAG Neuda bei Pöchlarn.
Einer der Schwiegersöhne dieser Industriellenfamilie Lieser war Hans Becker, der zentrale Netzwerker des österreichischen Widerstandes. Schon 1933-1938 war er der von Bundeskanzler Dollfuß berufene Werbemanager des Ständestaates im geistigen Widerstand gegen den NS-Terror. 1938 wurde er, von einer medialen Hasskampagne begleitet, in Dachau interniert. Dort, „in der Hochschule der Demokratie“, begann er sein überparteiliches Netzwerk des Widerstandes, erweiterte es nach seiner Haftentlassung ab 1941 im Untergrund in Wien, knüpfte nach innen Kontakte zu führenden Widerstandsgruppen innerhalb der Deutschen Wehrmacht in Wien und zu den so genannten Widerstandslazaretten. Mithilfe von jungen wagemutigen Kurieren knüpfte er Kontakte über die Schweiz, Italien und Frankreich zu den Kommandozentralen der Westalliierten. Sein militärischer Netzwerkpartner Major Szokoll knüpfte über seinen eigenen früheren Ausbildner Ferdinand Käs Kontakte zu den anrückenden Truppen der Roten Armee. Es bestanden Funkverbindungen zu den Alliierten. So wie es Beckers Ziel gewesen war, die NS-Herrschaft so lange wie möglich von Österreich fernzuhalten, so arbeitete er mit seinem Netzwerk daran, den Zusammenbruch des NS-Terrors zu beschleunigen und so gewaltfrei wie möglich zu gestalten. Becker war Vorsitzender des POEN, des Provisorischen österreichischen Nationalkomitees, das infolge der fehlenden Exilregierung als einziger von den Alliierten anerkannter Repräsentant Österreichs auftrat. Die Losung des österreichischen Widerstandes lautete „O5“, das hieß Oe (e als 5.Buchstabe des ABC) = Österreich. In Wien sollte ein im Detail geplanter Volksaufstand den inneren Zusammenbruch der NS-Herrschaft bewirken. Obwohl der Plan verraten und einige seiner Organisatoren noch hingerichtet wurden, wurde durch den Kontakt von O5 mit der Führung der Roten Armee die Schlacht um Wien vermieden. Das Widerstandsnetzwerk O5 unter der Führung von Hans Becker hat damit die Widerstandsleistung erbracht, die von den Alliierten in der Moskauer Deklaration 1943 als Beitrag der Österreicher zur Befreiung von der NS-Diktatur verlangt worden war. Dass diese Leistung von kommunistischen und sozialdemokratischen Historikern ignoriert wird, ist eine andere, nämlich eine deformierte Geschichte.

Familie Lang berichtete über das Versöhnungstreffen von Christen vieler Konfessionen anlässlich des Lutherjahres. Verena Lang legte ein persönliches Zeugnis der Versöhnung mit der politischen Geschichte ihrer familiären Herkunft ab.

An den Gesprächsabend schloss sich das Gedenken an die Wieselburger jüdischen Familien an. Mit Texten von Ernst Brod und Elisabeth Parmentier. Gesprochen wurde das Friedensgebet von Johannes XXIII. und das jüdische Totengebet Kaddisch.